Verknüpfung des optischen Gaia-Referenzrahmens mit dem ICRF | AGORA
Von Juli 2014 bis Januar 2025 wurde der Himmel durch den Gaia-Satelliten in optischen Wellenlängen mit hoher Präzession gescannt. Die Mission hat damit ihre nominale Dauer von fünf Jahren bei weitem übertroffen. Diese astrometrische Satellitenmission der ESA (Europäische Weltraumorganisation) hat bereits einige bemerkenswerte Rekorde aufgestellt. So wurden beispielsweise mit dem zweiten veröffentlichten Datensatz (DR2, „data release“ 2) vom April 2018 ungefähr 1,7 Milliarden Objekte mit bisher unerreichter Genauigkeit aufgezeichnet. Die finalen Ergebnisse dieser Mission, erwartet zu Ende 2030, werden ohne Zweifel als „game changer“ für die Astrometrie und die beobachtende Astronomie bezeichnet werden. Neben einer Vielzahl an wissenschaftlichen Verbesserungen erlauben die Gaia-Datenprodukte durch die sehr hohe Präzision auch verbesserte technische Anwendungen, wie zum Beispiel die genauere Orientierung (attitude control) und die Beschleunigung der Konvergenz der Orientierung von Satelliten bezüglich des Sternenhimmels.
Aus Sicht der Astrometrie stellen Gaia-Datenprodukte in sich konsistente Lösungen dar. Die Positionen der astronomischen Objekte sind aber lediglich relativ zueinander sehr genau bekannt, während die absolute Orientierung der Datenprodukte unbekannt ist. Die Flugbahn des Gaia-Satelliten ist ein Lissajous-Orbit um den Sonne-Erde Lagrange-Punkt 2 herum. Dieser Lagrange-Punkt ergibt sich als stabiler Punkt im Mehrkörper-Gravitationsfeld für die Objekte Sonne und Erde. Er liegt etwa 1,5 Millionen Kilometer von der Erde entfernt in der sonnenabgewandten Richtung und bewegt sich gleichförmig mit der Erde um die Sonne. Die Aufnahmen von diesem Ort aus geschehen unter relativ gleichbleibenden thermischen Bedingungen, wobei die Energiezufuhr durch den Lissajous-Orbit gegeben ist. Denn durch den Orbit befindet sich der Satellit nicht dauerhaft im Kernschatten der Erde. Von diesem Orbit aus kann jedoch keine direkte Verbindung zur Erdoberfläche hergestellt werden. Eine genaue Möglichkeit, die Gaia-Datenprodukte bezüglich der Erdoberfläche zu orientieren, besteht in der Beobachtung optischer Entsprechungen von extrem weit entfernten aktiven Galaxien, die ebenso Teil des internationalen himmelsfesten Referenzrahmens (ICRF, International Celestial Reference Frame) sind. Mithilfe des geodätischen Raumverfahrens VLBI (Very Long Baseline Interferometry, Radiointerferometrie auf langen Basislinien) kann das ICRF mit hoher Genauigkeit bezüglich der Erdoberfläche orientiert werden. Die VLBI-Antennen beobachten von der Erde aus dieselben extrem fernen Galaxien in Radiowellen und liefern dadurch die sogenannten Erdorientierungsparameter mit höchster absoluter Genauigkeit. Die Übertragung der absoluten Orientierung aus der VLBI-Datenauswertung auf die Gaia-Datenprodukte ist ein notwendiger Schritt, um die Anwendungen der Gaia-Datenprodukte von der Erde aus oder im Erd-nahen Raum zu ermöglichen.
Unser Projekt AGORA unterstützt die hochgenaue Orientierung der Gaia-Datenprodukte durch die VLBI-Datenauswertung, indem eine aktuelle und konsistente Realisierung des ICRF basierend auf VLBI-Daten des IVS (Internationaler VLBI-Dienst für Geodäsie und Astrometrie) während der gesamten Dauer der Satellitenmission bereitgestellt wird. Dafür werden die VLBI-Beobachtungen des IVS und von Partnerorganisationen herangezogen. Ein wissenschaftliches Ziel des Projekts ist die Zusammenführung der verschiedenen VLBI Beobachtungen zu einer konsistenten Lösung.
Viele aktive galaktische Kerne (AGN, active galactic nuclei) und ihre optischen Entsprechungen („counterparts“), das sind typischerweise der Kern der Muttergalaxie oder eine oder mehrere helle Komponente(n) im Jet, sind sowohl in den Gaia-Datenprodukten als auch im ICRF enthalten. Diese Objekte sind daher als gemeinsame Ziele bestens für die Orientierung geeignet. Jedoch sind alle AGN extrem leuchtschwach in optischen und Radiowellenlängen und können daher nur für die Orientierung der leuchtschwachen Anteile in den Gaia-Datenprodukten herangezogen werden. Aus diesem Grund sind im Projekt AGORA spezielle Beobachtungen zu Radiosternen geplant, um auch die hellen Anteile der Gaia-Datenprodukte entsprechend orientieren zu können. Radiosterne können im optischen relativ hell sein, jedoch typischerweise extrem schwach in Radiowellen und werden daher mit einem speziellen relativen VLBI-Messverfahren, dem sogenannten „phase referencing“, beobachtet. Nach der Fertigstellung des Projekts werden Transformationsparameter („spin“, „spin rate“) für Gaia zur Verfügung stehen, die die genaue Orientierung der Gaia-Datenprodukte ermöglichen. Damit können optische Beobachtungen von der Erdoberfläche aus und andere Anwendungen basierend auf Gaia-Datenprodukten mit absoluter Orientierung und deutlich verbesserten Genauigkeiten erfolgen.
Projektpartner:
Technische Universität Berlin
Projektlaufzeit:
2021 - 2025
Zuwendungsgeber:
Deutsche Forschungsgemeinschaft DFG
Projektbezogene Publikationen
Dhar, S., Heinkelmann, R., Beyerle, G., & Schuh, H. (2025). A VGOS CRF fully consistent with the S/X frames preliminary results. 27th European VLBI group for Geodesy and Astrometry (EVGA) Meeting 2025, (EVGA2025), Matera, Italy. Zenodo. https://doi.org/10.5281/zenodo.15236608
Lunz, S., Anderson, J.M., Xu, M., Heinkelmann, R., Titov, O., Lestrade, J.-F., Johnson, M.C., Shu, F., Chen, W., Melnikov, A., Mikhailov, A., McCallum, J., Lopez, Y., de Vicente Abad, P., Schuh, H. (2024). The impact of improved estimates of radio star astrometric models on the alignment of the Gaia bright reference frame to ICRF3. Astronomy & Astrophysics, 689, A134, https://doi.org/10.1051/0004-6361/202142081
Lunz, S., Anderson, J. M., Xu, M., Titov, O., Heinkelmann, R., Johnson, M.C., Schuh, H. (2023). Enhancing the alignment of the optically bright Gaia reference frame with respect to the International Celestial Reference System. Astronomy & Astrophysics, 676, A11, 23 pp., https://doi.org/10.1051/0004-6361/202040266