Die Erdbeobachtung mittels Satelliten, insbesondere über das EU-Programm Copernicus, wird immer wichtiger für die Politik. Zugleich fehlen wichtige Bausteine, um die Anforderungen für wissenschaftsbasierte politische Entscheidungen zu erfüllen. Das ist das Ergebnis einer Studie, die die Lücken der Erdbeobachtung und des Copernicus-Programms analysiert und daraus Empfehlungen für Wissenschaft und Politik ableitet. Die Forschenden um Katja Berger vom GFZ Helmholtz-Zentrum für Geoforschung raten dazu, die räumliche und zeitliche Auflösung von Satellitendaten zu verbessern und künftige Beobachtungsmissionen gemeinsam mit Politik und Betroffenen zu konzipieren. Die Studie ist in der aktuellen Ausgabe des Journals „Land Use Policy“ erschienen.
Einleitung
Ambitioniert sind die politischen Maßnahmen der EU zum Schutz der Umwelt und zur Gestaltung einer nachhaltigeren Landnutzung. Ziel ist es, den Schutz all unserer natürlichen Ressourcen (Böden, Wasser, Luft, Biodiversität, etc.) und Lebensgrundlagen dauerhaft zu sichern, in dem man sich bemüht, ihn in Verordnungen und Richtlinien zu verankern und EU-weit aufeinander abzustimmen. Die große Frage dabei: auf welcher Wissensbasis können Entscheidungen getroffen werden?
Fachwissenschaftler:innen der satellitengestützten Fernerkundung haben nun drei wichtige EU-Verordnungen im Detail analysiert und überblicksartig 19 weitere EU-Verordnungen und -Richtlinien (Abb.2) zum Schutz der Umwelt betrachtet. Die Studie schaut genauer auf die Gemeinsame Agrarpolitik (CAP), die aktualisierte EU-Verordnung über Landnutzung, Landnutzungsänderungen und Forstwirtschaft (EU LULUCF) zum Schutz des Klimas sowie auf die neue Verordnung zu entwaldungsfreien Produkten (EUDR). Speziell wurden die Ziele von CAP, EU LULUCF und EUDR zusammengetragen und dabei eruiert, wie das Umweltsatellitenprogramm Copernicus, dessen Sentinel-Satelliten von der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) entwickelt und betrieben werden, derzeit zur Überprüfung der Ziele beiträgt, bzw. wie sich die Anforderungen an das Programm und dessen Datenprodukte wandeln werden.
Die Studie zeigt, dass die aktuellen Copernicus-Datenprodukte die politischen Bedürfnisse bislang nur teilweise erfüllen – obwohl Copernicus der weltweit größte Anbieter frei zugänglicher Weltraumdaten ist. Zugleich verdeutlicht sie die Schlüsselrolle des Programms im gesamten Politikzyklus, von der Zielsetzung bis zur Umsetzung und Überprüfung. Es handelt sich um die erste integrierte Gap-Analyse, die Lücken zwischen politischen Zielen und den Möglichkeiten der Fernerkundung aufzeigt.
Was sind die Lücken?
Die Daten der meisten Satelliten-Produkte reichen zeitlich oft nicht weit genug zurück. Ein Beobachtungszeitraum von mehr als einem Jahrzehnt ist für Langzeittrends, die die Umwelt betreffen, jedoch teils zwingend erforderlich. Darüber hinaus ist die räumliche Auflösung einiger Produkte (300 m – 1 km) möglicherweise nicht für alle politischen Vorgaben geeignet, da für die Planung auf lokaler Ebene häufig eine räumliche Auflösung von etwa 10 m oder weniger erforderlich ist. Einige Copernicus-Produkte verfügen eventuell auch nicht über die erforderliche Genauigkeit für politische Entscheidungen. So liegt die Genauigkeit der aktuellen Produkte des Copernicus Land Monitoring Service zu Landbedeckung (CLMS) derzeit bei hohen 80 - 90 Prozent. Nicht genug jedoch für manche politischen Entscheidungen. Außerdem ist die derzeitige Satellitenverbund von Copernicus möglicherweise nicht in der Lage, bestimmte Phänomene oder Regionen angemessen zu beobachten, da es Lücken in der Abdeckung oder Probleme bei der Datenerfassung/-qualität gibt, beispielsweise aufgrund von Wolkenbedeckung während des Überflugs der optischen Satelliten.
Konkreter Bedarf für CAP, EU LULUCF und EUDR
Die Studie erkennt einen klaren Trend: Alle EU-Landpolitikbereiche erfordern Daten mit höherer räumlicher Auslösung, teils unter 5 Meter, und benötigen Daten mit einer höheren zeitlichen Auflösung (nahe Echtzeit). Für die folgenden Verordnungen findet die Studie beispielsweise u.a. diese Ergebnisse:
Gemeinsame Agrarpolitik | CAP: Die Ziele der Gemeinsamen Agrarpolitik werden zukünftig voraussichtlich die höchsten Anforderungen an die Erdbeobachtung stellen. So wären nahezu tägliche Aktualisierungen mit einer Auflösung von weniger als 10 Metern erforderlich, um ein Monitoring der Anbaumethoden und landwirtschaftlichen Praktiken zu gewährleisten. Das neue HR-VPP-Phänologieprodukt (mehr Informationen) könnte eines der nützlichsten sein, weil es die Vegetationsdynamik genau zeigen kann. Fast genauso nützlich sind die hochauflösenden Informationen zur Art der Landnutzung (angebaute Pflanzenarten, Fruchtfolge) und zur exakten Abgrenzung der landwirtschaftlichen Felder.
EU-Verordnung über Landnutzung, Landnutzungsänderungen und Forstwirtschaft | EU LULUCF: Zur Erkennung von Landnutzungsänderungen erfüllen die aktuellen Produkte z. B. das kürzlich entwickelte CLC+ (Corine Land Cover+, CLC Backbone) im Allgemeinen die erforderliche räumliche Auflösung, allerdings auf Kosten einer groben zeitlichen Auflösung. Standardprodukte sind allerdings oft nicht flexibel genug und nicht allgemein zugänglich.
Entwaldungsfreie Produkte | EUDR: Die EUDR schreibt vor, dass nur Produkte auf den EU-Markt gelangen dürfen, die nicht aus Gebieten mit hohem Abholzungsdruck stammen. Betroffen sind u.a. Rindfleisch, Kakao, Kaffee, Ölpalmen, Kautschuk, Soja und Holz. Großflächige Ölpalmen- und Sojaplantagen lassen sich mit Sentinel-1/2 bereits gut erfassen, für kleinere agroforstwirtschaftliche Systeme wie Kakao oder Kaffee wären jedoch Satellitenbilder mit sehr hoher Auflösung (<5 m) nötig. Für eine wirksame Umsetzung der EUDR wären monatliche Aufnahmen in dieser Auflösung erforderlich. Hilfreich könnte zudem der neue Indikator „Baumkronendichte“ (0-100% | TCD - Tree Cover Density) sein, wenngleich Very-High-Resolution-Produkte die Unterscheidung zwischen Plantagen, Agroforst und natürlichen Wäldern noch zuverlässiger ermöglichen würden. Die Autor:innen (K. Berger, M. Herold, Z. Szantoi) haben hierzu auch einen spezifischen Kommentar in einem Nature Journal veröffentlicht [Link].
Politikempfehlungen der Autor:innen | Vorrangige Handlungsfelder
Die Studie stellt noch weitere wichtige Handlungsfelder heraus. Die Empfehlungen für die Politik sind:
Transparenz und Vertrauen schaffen
Verlässlichkeit und Transparenz ist in der Kommunikation, insbesondere der Politik, ein wichtiges Gut. Eine effektive Nutzung von Erdbeobachtungsdaten erfordert umfassende Metadaten, die Methoden, Einschränkungen und Unsicherheiten dokumentieren, um eine korrekte Interpretation für politische Entscheidungen zu gewährleisten. Es braucht standardisierte Datensammlungen und direkt und einfach analysierbare Daten, all diese gemäß der FAIR-Prinzipien. Letztere besagen, dass die Datengrundlage auffindbar (findable), gut zugänglich (accessible), interoperabel und auch weiterverwendbar (reusable) sein sollte.
Erweitere Datenbeschaffung | Datenqualität durch integrierte Sensorik verbessern
Das Copernicus Programm integriert zwar bereits Bodenbeobachtungen und In-situ-Daten, doch würden eine Erweiterung dieser Netzwerke sowie eine Ergänzung um Drohnendaten die Datenqualität weiter verbessern. Es braucht zusätzliche Referenznetzwerke mit ergänzenden Messungen am Boden, um die aus Satellitendaten hergeleiteten Informationen und Produkte noch verlässlicher zu machen.
Rechtliche und datenschutzrechtliche Überlegungen anstellen
Erdbeobachtung ist zwar ein leistungsfähiges Instrument zur Überwachung der Einhaltung von Landnutzungsvorschriften, doch wirft seine zunehmende Nutzung berechtigte Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes und der Datenverwaltung auf – insbesondere angesichts der Verbesserung der räumlichen Auflösung auf Satellitenbilder (< 10 m) oder der Erdbeobachtung mit Drohnen. Dieser datenschutzrechtliche Punkt muss vorab sinnvoll geregelt werden.
Nutzer:innen einbeziehen und noch mehr freizugängliche Daten
Bisher stand bei Erdbeobachtungsmissionen vor allem der technologische Fortschritt im Vordergrund, während die konkreten Bedürfnisse der Nutzer:innen und die Marktnachfrage oft nachrangig behandelt wurden. Derzeit vollzieht sich jedoch eine Wende: Datennutzer:innen werden zunehmend direkt in die Entwicklung und Produktion von Produkten eingebunden. Nur durch diese enge Zusammenarbeit lässt sich sicherstellen, dass die Daten auch praktisch anwendbar sind. Besonders wichtig ist dabei die Kooperation zwischen EU-Institutionen (z. B. DGs AGRI, CLIMA und ENV), nationalen Behörden, privaten Unternehmen und der wissenschaftlichen Gemeinschaft.
Erdbeobachtung mit Copernicus: Blick in die Zukunft
Zukünftige Copernicus-Missionen und -Dienste (Abb.1) werden sich darauf konzentrieren, die Nachfrage der Stakeholder besser in der Planung einzubeziehen und räumlich und zeitlich besser aufgelöste Produkte zu liefern. In den kommenden Jahren werden von der ESA mehrere Sentinel-Erweiterungsmissionen gestartet, darunter die Copernicus Hyperspectral Imaging Mission for the Environment (CHIME), die Land Surface Temperature Monitoring (LSTM) und das Radar Observing System for Europe in L-band (ROSE-L). Anfang der 2030er Jahre werden Sentinel-1 Next Generation und Sentinel-2 Next Generation (S2NG), die sich derzeit noch in der Konzeptionsphase befinden, im Weltraum sein. S2NG wird eine räumliche Auflösung von 5–10 m und eine verbesserte spektrale und zeitliche Auflösung bieten.
Die Studie kommt zu dem Schluss, dass die Erdbeobachtung zum transformativen Treiber zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele der EU werden kann, wenn wir die technischen Errungenschaften und Datenprodukte noch wesentlich stärker an den politischen Vorgaben und Prioritäten ausrichten. Die Übersetzung des technisch möglichen Potentials der Sentinel Satelliten (Copernicus Programm) in effektive praktische Anwendungen bleibt jedoch eine große Herausforderung.
Originalstudie: K. Berger, S. Foerster, Z. Szantoi, P. Hostert, M. Foerster, R. Van De Kerchove, C. Vancutsem, C. Schweitzer, R. Masolele, J. Reiche, M. Dowell, F. Enssle, D. R. Suarez, O. Nepomshina und M. Herold (2025). "Evolving Earth observation capabilities for recent land-related EU policies." Land Use Policy 158: 107749. doi.org/10.1016/j.landusepol.2025.107749
EUDR Comment: K. Berger, M. Herold & Z. Szantoi. “Earth observation as enabler for implementing the EU regulation on deforestation-free products”. npj Climate Action 4, 68 (2025). doi.org/10.1038/s44168-025-00276-9