Smartphones als Erdbebensensoren

Studie in Campi Flegrei: Tausende Beschleunigungsmesser in Mobiltelefonen liefern Daten, die einen neuen Schritt in Richtung hochauflösender Erdbebenkarten und sichererer Städte ermöglichen.

Zusammenfassung

Die Auswirkungen eines Erdbebens auf Menschen und Sachwerte hängen nicht nur von den Eigenschaften des Erdbebens wie dessen Stärke und Tiefe ab, sondern auch von den lokalen Bodenbedingungen, die zum sogenannten „Standort-Effekt” beitragen. Die Kartierung des Standort-Effekts mit hoher räumlicher Auflösung im städtischen Kontext ist entscheidend, um zu verstehen, welche Gebiete und Gebäude bei nachfolgenden seismischen Ereignissen einem höheren Risiko oder einer größeren Belastung ausgesetzt sind.

Eine jetzt im Fachmagazin Nature Communications veröffentlichte Studie von Prof. Dr. Francesco Finazzi (Universität Bergamo, Italien), Prof. Dr. Fabrice Cotton (GFZ Helmholtz-Zentrum für Geoforschung, Potsdam, Deutschland) und Dr. Rémy Bossu (Europäisch-Mediterranes Seismologisches Zentrum, Frankreich) liefert nun einen Durchbruch: Mithilfe der Smartphones von Bürger:innen lassen sich hochdetaillierte Standort-Verstärkungs-Karten erstellen. Dank ihrer eingebauten Beschleunigungsmesser – dieselben Sensoren, die interaktive Spiele ermöglichen – können Smartphones Erdbebenvibrationen erkennen. Durch die Kombination Tausender dieser Messungen aus der italienischen Region Campi Flegrei mit statistischen Modellen zeigen die Forscher, dass es möglich ist, die Verstärkung von Erschütterungen durch die lokale Geologie zu kartieren und dabei einen Detailgrad zu erreichen, der weit über das hinausgeht, was seismische Stationen allein liefern können. Diese Informationen liefern wichtige Erkenntnisse für die Bewertung seismischer Gefahren und unterstützen die Notfallmaßnahmen bei Erdbeben.

Neuer Ansatz auf Basis des Earthquake Network (EQN), einer bürgerwissenschaftlichen Initiative

Der neuartige Ansatz baut auf dem Earthquake Network (EQN) (deutsch: Erdbebennetzwerk) auf, einer bürgerwissenschaftlichen Initiative, die 2013 von Francesco Finazzi ins Leben gerufen wurde. Das EQN, an dem sich bisher mehr als 20 Millionen Bürger:innen beteiligt haben, ist Teil einer laufenden globalen Initiative, Smartphones für die Echtzeit-Erdbebenüberwachung und Frühwarnung zu nutzen. Wenn ein Erdbeben auftritt, erkennen die teilnehmenden Telefone die Erschütterungen und senden Signale an einen zentralen Server. Innerhalb von Sekunden können Warnmeldungen an Nutzende in der Umgebung ausgegeben werden, wodurch ihnen wertvolle Zeit – manchmal mehr als eine halbe Minute – bleibt, um sich in Sicherheit zu bringen, bevor die starken Erschütterungen eintreffen.

Obwohl sich Smartphones für die seismische Überwachung als nützlich erwiesen haben, blieb die Frage offen, ob sie auch zur Kartierung von Bodenerschütterungen eingesetzt werden können. Tatsächlich messen die Beschleunigungsmesser von Smartphones Bewegungen anders als seismische Instrumente, da die Messwerte von den Eigenschaften der Gebäude, dem Standort des Geräts und seiner Platzierung beeinflusst werden. Um die Korrelationsstruktur zwischen Smartphone- und Stationsaufzeichnungen zu nutzen, wandten die Autoren ein räumliches statistisches Modell an. Diese Methode gleicht geräte- und gebäudespezifische Effekte aus und lässt das zugrunde liegende Verstärkungsmuster erkennen. Während einzelne Smartphone-Aufzeichnungen verrauscht sind, liefert die Aggregation von Tausenden von Messungen und ihre Fusion mit klassischen seismologischen Daten zuverlässige hochauflösende Verstärkungskarten.

Erste hochauflösende Verstärkungskarte der Testregion Campi Flegrei, Italien

Die Region Campi Flegrei (Phlegräische Felder) in der Nähe von Neapel, Italien – Heimat von etwa 500.000 Menschen in einer vulkanisch und seismisch hochgefährdeten Zone – bot den perfekten Testfall für den neuen Ansatz. Zwischen April und Juni 2024 erlebte die Region eine Phase erhöhter seismischer Aktivität, die sowohl Bürger:innen wie lokale Verwaltungsbehörden unter Druck setzte. In dieser Zeit lieferten pro Event 7.000 bis 9.000 Einwohner in der 130 km² großen „roten Zone” aktiv Daten über das EQN-Netzwerk, verglichen mit „nur“ 29 traditionellen seismischen Stationen in derselben Region (siehe Abbildung 1). Die Analyse dieser Daten ermöglichte es den Forschern, die erste hochauflösende Verstärkungskarte der „roten Zone” zu erstellen (Abbildung 2).

„Das EQN-Smartphone-Netzwerk ist sehr dicht und deckt Bereiche der roten Zone ab, in denen keine Stationen installiert sind. Dadurch kann die Variabilität der Bodenerschütterungen mit einer höheren räumlichen Auflösung über die gesamte rote Zone erfasst werden“, erläutert Francesco Finazzi, Erstautor der Studie.

Die erstellte Verstärkungskarte zeigt: Die Wellenverstärkung variiert aufgrund der oberflächennahen Schichten zwischen einem Faktor von 0,25 und 0,5 im östlichen Teil der Zone – was faktisch einer Dämpfung entspricht – und einem Faktor von 2 bis 3 im Südwesten – was faktisch einer Verstärkung entspricht –, und das im Abstand von nur 10 Kilometern. 

Entscheidend für Notfallteams

Im Falle eines neuen Erdbebens können die Verstärkungskarten, die auf früheren Smartphone-Daten basieren, und neue ereignisspezifische Smartphone-Beschleunigungsmessungen verwendet werden, um sogenannte hochauflösende „ShakeMaps” dieses Ereignisses zu erstellen – das sind Karten, die die Intensität der Erschütterungen in verschiedenen Gebieten zeigen. Diese ShakeMaps sind zu einem unverzichtbaren Instrument für die Bewertung der Auswirkungen eines kürzlich stattgefundenen Erdbebens oder für Szenariostudien zukünftiger Ereignisse geworden und sind entscheidend für die Führung von Rettungsteams, die Schadensabschätzung und die Organisation von Notfallmaßnahmen.

„Angesichts der weltweit wachsenden Stadtbevölkerung und des dringenden Bedarfs an hochauflösenden ShakeMaps zeigt diese Studie, dass die Kombination von Smartphone-Beschleunigungsmesserdaten der Bürger:innen mit seismischen Netzwerkbeobachtungen die Erstellung standortspezifischer, hochauflösender ShakeMaps in dicht besiedelten städtischen Gebieten ermöglicht. Dies verbessert die Charakterisierung von Bodenbewegungen in bebauten Gebieten, in denen sich das seismische Risiko konzentriert“, fasst Co-Autor Prof. Dr. Fabrice Cotton zusammen, Leiter der GFZ-Sektion 2.6 „Seismische Gefährdung und Dynamisches Risiko“.


Originalveröffentlichung:

Finazzi, F., Cotton, F. & Bossu, R. Citizens’ smartphones unravel earthquake shaking in urban areas. Nat Commun 16, 9527 (2025). https://doi.org/10.1038/s41467-025-64543-3

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